Immobilieneigentümer und ihre Dienstleister erhalten jetzt erstmals vollumfängliche Transparenz über die Zusammensetzung, Konstruktion und den Standort der von ihnen registrierten, verbauten Materialien. Der Materialpass erleichtert die Lebensdauerverlängerung von Gebäuden und die Wiederverwendung von Materialien, fördert intelligentes Design und hilft, Ressourcen einzusparen. Nun wird anlässlich der Revision des Umweltschutzgesetzes darüber diskutiert, ob und wie Materialpässe gesetzlich verankert werden können. Wir sprachen mit Patrick Eberhard, Präsident des Vereins Madaster Schweiz über Materialpässe und die Zukunft von Madaster.
Herr Eberhard, als Pionier für Urban Mining in der Schweiz setzen Sie sich als Präsident von Madaster Schweiz für Kreislaufwirtschaft im Bau ein. Was treibt Sie da an?
Die Kreislaufwirtschaft ist insbesondere im Bau von grosser Relevanz. Unser Wohlstand erzeugt einen enormen Ressourcenhunger. Gleichzeitig ist der Bau für den grössten Abfallstrom der Schweiz, aber auch weltweit verantwortlich. Entsprechend gross ist der Hebel. Genau das treibt die Eberhard Unternehmungen und mich an, industriell skalierbare Lösungen zu entwickeln. Madaster hilft dabei, die Lebensdauerverlängerung und Wiederverwendung von Materialien zu erleichtern und intelligentes Design zu fördern, also konkret Ressourcen einzusparen.
Welche Erfahrungen haben Sie in ihrer Firma mit Madaster gemacht?
Wir haben Madaster bisher bei einem Werkneubau anwenden können. Zudem haben wir mit unserer neusten Entwicklung, dem zirkulit® Beton, erste Erfahrungen aus Produzentensicht auf der Madasterplattform gesammelt.
Als Gründungsmitglied des Vereins Madaster Schweiz haben wir seit Dezember 2018 vor allem sehr viele Erfahrungen, auch aus dem Austausch mit der Branche auf dem Weg bis hierhin mitgenommen. Madaster hat mit einem erfrischenden niederländischen Wind eine neue Sichtweise auf das Thema Kreislaufwirtschaft im Bau gebracht. Dies hat dazu geführt, dass wir unsere alten Wege aufbrechen konnten und neue Lösungsansätze gefunden haben.
Wie passen Materialpässe in eine Welt, in der Gebäude für einen Zeitraum von über 80 Jahren gebaut werden?
Davon ausgehend, dass wir je länger je mehr nach dem Urban Mining Ansatz leben, bei dem wir unsere Rohstoffe aus der Stadt gewinnen, passt das sehr gut. Bei einem Steinbruch beispielsweise werden grosse Aufwendungen betrieben, um die genaue Geologie zu analysieren. Mit dem Materialpass schreiben wir heute nieder, was wir verbauen. So erübrigen sich aufwendige „geologische“ Abklärungen in unseren Städten in 80 Jahren und das volle Potential der Kreislaufwirtschaft kann ausgeschöpft werden.
Zudem zwingt der Materialpass den Bauherrn, sich mit der Materialisierung des Gebäudes auseinanderzusetzen. Noch heute bauen wir tagtäglich Gebäude ohne Rücksicht auf die Kreislauffähigkeit der verbauten Materialien. Dies führt dazu, dass wir auch in 80 Jahren noch Deponien benötigen, da dies das einzig mögliche End-of-life Szenario ist. Dank dem Materialpass kann uns hier ein dringend nötiger Fortschritt gelingen.
Welches Potenzial an Abfallvermeidung steckt in den Pässen?
Abfall ist Material ohne Identität. Mit den Pässen verleihen wir den anonymen Materialien eine Identität. Klar ist dieser Ansatz auf hoher Flugebene angesiedelt. Trotzdem gefällt mir dieser Grundsatz sehr gut. Ich bin überzeugt, dass die Informationen zu Bauteilen und Bauelementen entscheidend sind, wenn uns der Weg über die Verwertung hinaus ins Wiederverwenden gelingen soll.
In einem Materialpass werden idealerweise bereits beim Entwurf die relevanten Daten zur Materialisierung zusammengetragen. Durch einen praxisnahen Indikator werden die Materialien bezüglich ihrer Kreislauffähigkeit beurteilt. Neben der grundsätzlichen Beurteilung, ob der Rohstoff kreislauffähig ist, muss auch der Aspekt der Trennbarkeit und der Demontierbarkeit berücksichtigt werden. Dieser Kreislaufindikator wird zum schnellverständlichen Wegweiser für den Planer. Mit einem Blick sieht er, ob er mit dem geplanten Gebäude Abfall von morgen produziert oder ein Rohstofflager für die Zukunft erschafft. So verändern wir die heutige Wertschöpfungskette hin zu einer Werterhaltungskette.
Welche Beteiligten profitieren besonders von der Datentransparenz?
Von der Datentransparenz profitieren alle am Bau beteiligten Akteure, die sich für eine möglichst ressourcenschonende Zukunft einsetzen. Die Kreislaufwirtschaft erfordert ein Austausch über die Silos hinaus. Erst durch die Datentransparenz kann der Austausch zielorientiert erfolgen. Zudem weiss der Bauherr in Zukunft, welchen Wert seine Bausubstanz hat.
Madaster bedient daher zwei Kundengruppen entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Für Immobilieneigentümer ist es ein Zugangspunkt zur Nutzung ihrer ressourcenrelevanten Daten von Gebäuden. Zusammen mit einem Netzwerk von Partnern können sie ressourcenschonende Immobilien realisieren. Und die Partner der Immobilienbesitzer sind auch die Partner von Madaster, wie Bauträger, Architekten, Bauunternehmer, Berater, Ingenieure und Rückbauunternehmen und nicht zu vergessen Banken, Versicherer und Investoren.
Sie sind Präsident des Vereins Madaster. Die Madaster Services AG vermarktet die Plattform. Wie sieht ihre Zusammenarbeit aus?
Madaster ist eine europaweite Initiative aus der Wirtschaft mit einem gesellschaftlichen Auftrag. Aus diesem Grund ist Madaster auf zwei Säulen gebaut, einer gewinnorientierten und einer gemeinnützigen Säule. So können die Vorteile aus beiden Welten kombiniert werden. Wir sind überzeugt, dass in einer gewinnorientierten Gesellschaft die besten Lösungen für den Markt entwickelt werden. Gleichzeitig wird über die gemeinnützige Säule gewährleistet, dass der gesellschaftliche Zweck der Organisation im Zentrum steht. Der Verein Madaster Schweiz gewährleistet die Governance der Madaster Services AG und fördert durch Sensibilisierung die Kreislaufwirtschaft im Bau.
Was hat sich der Madaster Verein für die nächsten Jahre vorgenommen?
Bei der Madaster Plattform ist bereits ein Standard zur Messung der Kreislauffähigkeit von Gebäuden basierend auf deren Materialisierung, hinterlegt. Über den Verein wollen wir den Prozess anstossen, um einen Schweizer Standard zu etablieren. Wir sind überzeugt, dass die Messbarkeit die Grundlage für eine effiziente Umsetzung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen ist. Denn nur wo eine Messbarkeit vorhanden ist, ist auch eine Zielsetzung möglich.
Der Madaster Verein hat sich an der Vernehmlassung zur parlamentarischen Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» beteiligt. Was wünschen Sie sich von der Politik?
Die Initiative begrüssen wir sehr. Insbesondere die Messbarkeit der Kreislauffähigkeit von Gebäuden ausgehend von deren Materialisierung und die Vorgabe eines Materialpass sehen wir als zukunftsweisend. Diese wichtige Gesetzesanpassung, aber auch bestehende Gesetze wie die Bauprodukteverordnung, gilt es nun, konsequent auf allen Ebenen umzusetzen. Zudem sind insbesondere die öffentlichen Bauherren als Vorbild gefordert, voranzuschreiten.